Agateil (p)Art

(Un)einige Ur-Teile zu Lagaties Collagen-Legion

lid zi geliden, sôse gelîmida sîn1

*

Iterability, as a mode of production may be recognized as collage. (Gregory Ulmer, Applied Grammatology)

Le détaché reste collé par là, par la glu de la différance, par l’a. L’a de gl agglutine les différents détachés. (Derrida, Glas)

— Was passiert “hier” — ad hoc, hic et nunc, in haecceitas — auf dem Feld dieser gleichsam bildhauerischen Handwerks-Kunst, einer “grafting craft” graphischer Partialobjekte, aparte Part-Art, die eine Serie von Samesamebutdifferents ohne Paradima produziert? (Der Frage geht es also weniger um das τί ἐστι als um ein ¿Qué pasa?: Was ist hier los? Um das „Passieren“ als Vorbeigang einer Losigkeit und ihrer klebrigen Haftungen ohne Gewähr…)

Über-Legung: Es gat(t)et.2

© Kathrin M. Lagatie

Erklärung: Durch Gatierung (worunter, zunächst, ein Mischen und Passen, fast nach den Regeln empedokleischer philotes und neikos verstanden werden soll, nur dass auch diese, Liebe und Haß, Gewogenheit und Antipathie, sich ihrerseits ebenfalls mischen und überlagern) und Über-Lagarung — tatsächlich scheint es so, als würden die Teile (im schwankenden Genus: der/das Teil?) mit markanten Kanten nirgends einander, des anderen Intaktheit zerstörend, penetrieren oder ineinandergreifen, sie gleiten, trotz Klebung lose, auf- und untereinander daher, jedes auf seiner Ebene — ent-stehen Gatherings (eben: Dinge), agglutinierte Konglomerate; sie kommen, auf Füßen, oft monopodisch gesockelt oder di- und tripodisch und manchmal beinahe, da verkopft sich behauptend fast anthropoid anmutend, zu Stand, in Stillleben von chaotischem Idyll: Portraits seltsamer things. Kommen, flüchtig, zu Stand als im Gange befindlicher Zerfall und Zufall eines Syn und Cum. Haufen und Ballungen der Reste (Über-Bleibsel) und Relikte, von Anderem, und Anderem als Anderem. In diesem Sinne sind sie Strukturen (lat. struere (strūctum) ‘schichtweise über- oder nebeneinanderlegen), Geschichte. Diese Dies- oder Dingsdas, nennen wir sie gemäß dem altgriechischen Ausdruck für das konkrete Etwas — tode ti — Lagatodeties — absolut singulär jedes Einzelne und doch unter einander ähnlich, aneinander teil-habendsollen, ganz nach Art jener selbigen, nunmehr auf die Lettern der Lingua angewandten “Technik”, Über-Lagatiere, Collagatiere, oder: Agateile heißen. Dabei stellt sich, wie bemerkbar, gleich zu Anfang die Frage, welchen Geschlechts, welcher Gattung diese Gebilde der Gatierung zugehörig sein könnten. Ob es sich bei diesen plastischen Figuren der Defiguration – die zudem bei aller Skulpturalität ihrer Erscheinung die Abhebung einer distinkten Figur von einem Hintergrund topologisch subvertieren, wo sie mit diesem, von dem sie dennoch gesondert bleiben, oft gemeinsame Sache machen — um lebendige Tiere (wie etwa die Wisents, Bisons, Wildpferde, Mammuts, etc. jungpaläolithscher Kleinkunst oder Ur-Tierchen, Protozoen mit ihrer durch ausgestülpte Scheinfüßchen bestimmte Morphologie), tote Teile wie etwa Mineralien (bunte Steine) oder gar leblose Tierteile, Teiltiere handelt, was morbidere, kadavereske Vorstellungen von Kastration und Amputation ins Spiel bringen könnte — apart abartig. Beides zugleich, alles zusammen und nichts davon wohl am ehesten, weil sich, im Austrag dieses Verfahrens, die für die Abtrennung des Natürlichen vom Technischen zuständige physis/nomos(techne) Unterscheidung sukzessive destabilisiert. Mitsamt der von Leben, mit seinen Mitosen und Meiosen — das, hier, seine semantische Verwandtschaft zum Kleben (dem die Collage, von frz.coller, gr. kolla, ihren Namen verdankt) bezeugt

leben:

Das gemeingerm. Verb mhd. leben, ahd. lebēn, got. liban, engl. to live, schwed. leva gehört wahrscheinlich im Sinne von »übrig bleiben« zu der unter ↑ Leim dargestellten vielfach erweiterten idg. Wurzel. *‹s›lei- »feucht, schleimig, klebrig sein, kleben ‹bleiben›«. Eng verwandt ist die Wortgruppe von ↑ bleiben (germ. Präfixbildung *bi-līban). Eine alte Substantivbildung ist das unter ↑ Leib »Körper« (früher »Leben«) behandelte Wort.

und Tod, im Volksmund „Schnitter“, lat. mors, der als Chef-Kastrator und also Cutter die Zersetzung des Ganzen — das es wohl nicht gibt, nie gegeben hat und nicht gegeben haben wird — zu Stücken, morceaux, traditionell in seine Regie nimmt. Weil sich die in zwei komplementäre Bereiche streng und sorgsam sondernde Demarkationslinie — / — selber splitternd spaltet. Natur (von lat. nasci: geboren werden) inszeniert sich — hier, in diesen Lagatodeties — als unendlich, regellos teilbares (und nur in dieser Hinsicht unteilbares) archäologisches Artefakt, ob natürlich-organisch, natürlich-anorganisch oder technisch/künstlich, lässt sich ohne Weiteres nicht länger entscheiden. Technobiothanatographie? Darüber hinaus: Sind es Momentaufnahmen von Szenen des Willkommens oder des Abschieds einer Begegnung der Selbstzuwendung, die auseinanderführt? Nicht anders (und doch natürlich vollkommen verschieden) als schon beim epikureisch-demokritischen Lukrez spricht dieses (a)tomistische “De rerum natura” von einer techne der Teilchen und ihren Neigungen, indem es sie, die haecceitas dieser je ganz indivuellen schizioden Dividualität, zeugt und zeigt. Korpuskel und Partikel von mit euklidischer Geometrie nicht beschreibbaren Flächen und Umrissen, die genauso Organe ohne Körper sein können, wie Gesteinsformationen, steinzeitliche Keile und Keulen, Genitalien oder driftende Kontinentalplatten, Erdteile, Territorien, Areale, Gebiete in de-strukturierender Archi-Tektonik auf einer Landkarte. Zunächst sind es einfach Formationen von Deformationen unbestimmter (Zwei- oder Drei-?)Dimensionalität, weder Körper noch Fläche, Scherenschnitte, Schattenrisse, schemenhafte Silhouetten. Jedes einzelne dieser collagatierischen Agateil-Mischwesen unbestimmten Geschlechts und Schlags und gebrochenen Gepräges, das in einem Rahmen als eine Begegnung, ein erotisches Rendezvous dieser Segmente „passiert“ (also zu Stand kommt und vorbeigeht), gemahnt allerdings, nach dem ersten Eindruck eines reichlich dionysischen Apollo-Torso — jeder Engel ist schrecklich — an einen Angelus Novus der ganz eigenen Art, der Eigen-Art. Bote einer Part-Art des sich zutragenden Ent-Eignens anarchischer, atpyischer Proto-Arche-Typen, deren arché (der Ort von dem her sie kommen, Ur-Sprung, und das Prinzip, dem sie gehorchen) in nichts weiter bestünde als einem unhintergehbaren „Weiter so!“. Was heißt (uns) hier das “SO” dieser Divisions-Devise, dieses (ohne Ausrufungszeichen nur konstatierenden!) Kontinuitäts-Imperativs, der fortgesetzt die Fort-Setzung propagiert und eine Serialität ohne Paradigma virtuell undlich perpetuiert, was teilt sich, durch sie, mit? Wohin und nach welchem Muster wird evoluiert ? Wie, “so”, auf welche Part-Art vollzieht sich die, wie sich erahnen lässt, doch genuin sexuierende Gatierung, Generierung regelloser, unklassifizierbarer Vielgeschlechtlichkeit? Wohl doch im konsequenten, sich selbst verlierenden Verlassen jeden Ursprung, dem jeder Abstammung, Vor- und Urbild verwaisend Abhandenkommen: Genesis als Exodus.

© Kathrin M. Lagatie

“…parting is such sweet sorrow…” (Romeo and Juliet: Act 2, Scene 2, Schlegel: “So süß ist Trennungswehe!”)

Ist dies Fügen von getrennten, von ihrer Abstammung abgeschnittenen Teilen zu temporären Gestalten der Unfüglichkeit eine Art “süße Wehe” zwischen Scherz und Schmerz deshalb, weil es ein genuin erotisches ist? Eros, den Sappho deshalb den bittersüßen nennt, weil sein Gesetz die Ambivalenz ist? Das Zwischen von Separation und Reparation, Inzession und Sezession als eine Art Inzest, macht diese die Zweierexklusivität überschreitenden Paarungen prototypisch polymorph-pervers und diffundiert den Aristophanischen Kugelgeschöpfmythos als Gründungsnarrativ einer metaphyischen Komplementaritätslogik. Im emphatischen Sinne einer Auseinander-Ent-Stehung (genesis als exodus): ein Geschehn auch des Verlassens jeglicher Ständig- und Beständigkeit: Collagierung als nomadische Ko-ruption. Ein anderes Denken des Ge-Stells (d.h. Technizität), von den Ent-Stellungen her und auf sie zu, teilt sich mit.

© Kathrin M. Lagatie

Welcher Art ist diese Gesellschaft der jeweils ganz eigen und sie selbst seienden Teile und Mit-Teile, deren Spiel nicht zuletzt an Fragmenten einer Sprache der Mode teilhat (ein „Teil“ ist auch ein — hier aller anpassenden Einhüllungsfunktion beraubtes, selbst Körperflächen bildendes — Kleidungsstück, Hülle für eine hyle, Silhouette, „Si L´Hylette?“)? Ein ent-fernendes Bei-Sein, para-sitieren vielleicht, keine Versammlung, sondern ein Un-Fug von driftenden (De-)Struktionen? Oder eben: Versammlung und Zerstreuung zugleich. Lagas luxierter Logos, die lesende Lege, die sich hier vorliegen lässt, ein erotopolemologischer, ist nicht nur verrenkt und zerklüftet, er kommt daher als das Sich-ins-Werk-Setzen dieser sich bewahrenden Zerklüftung und damit auch als das désœuvrement einer „Zerklüftung aller Werklichkeit“ — in anderen Worten: als Wirklichkeit.

denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Kleben gendern.

Μή μου ἅπτου

Tillmann Reik

 

1Glied zu Glied, wie wenn sie geleimt wären. Die Schlußzeile des zweiten Merseburgerzauberspruchs, ein Binde- und/oder Klebezauber (Galster) zu Heilzwecken. Durch bigalan/biguolen (besprechen, bezaubern, besingen, denn es rührt, wie die Nachtigal, vom Vogelgesang her, oder ist immerhin mit ihm und — wie to call — dem Gellen verwandt) wird bewirkt. Hier besteht die Lösung des Problems, des verrenkten Fußes, im Leimen. J.Grimm übersetzt: ac si glutinata essent

2Dieses “zugrundeliegende” Gat ist gewissermaßen der gute Gott, von dem her sich alles als die Frage nach Gattung und Geschlecht ausstreut. Es geht um die Wurzel “ie. *ghadh- ‘vereinigen, eng verbunden sein, zusammenpassen’, älter wohl ‘umklammern, fest- und zusammenhalten’ (vgl. aind. ā́gadhitaḥ ‘angeklammert’), wozu auch ↗gut, ↗vergattern und wohl auch ↗Gatter, ↗Gitter (s. d.) gehören. (DWDS)