Hélène Cixous: Das Lachen der Medusa

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Ecris-tois! Den Atem de-zensurieren

Gangart und Haltung

Das Erste, was hier gelernt werden muß, ist aufrecht stehen
(Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesamtausgabe 1832-45. Werke VII)

Es ist kein Zufall: die Frau hat Ähnlichkeiten mit Vogel und Dieb so wie der Dieb der Frau und dem Vogel gleicht: flugs sind sie vorbei, männlich-weiblich, sie fliehen, sie freuen sich diebisch, weiblich-männlich, die räumliche Anordnung durcheinander zu bringen, in der Orientierung zu stören, die Möbel, Dinge, Werte zu verschieben, einzubrechen, die Rahmenstrukturen zu leeren, Eigentum umzustürzen.
(H.C.)

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Medusa, 1597, Caravaggio; Galeria Uffizi, Florença, Itália

Verspielt, unorthodox, kokett, verstohlen, wie die Beiträge und der manifestartige Primärtext des Bandes selbst, und mit einem gewagten, die Ordnung störenden (aber durch Verwendung einer Oppositions-Logik wieder bestätigenden) Geschlechter-Vergleich ließe sich bemerken: Dieser “Art vorzugehen”, die wie ein halb überlegenes, halb spöttisches, immer jedoch gelassen überfliegendes Sichdavonstehlen auftritt, dieser Geste, dieser Haltung, geht es offenkundig um einen vollkommen anderen Geist der Utopie (oder anders um den selben) als den des für die linke deutschsprachige Tradition so paradigmatischen Blochschen Ernsts. Welcher zwar, was für Cixous ebenfalls entscheidend scheint, aber anders, etwas “real herausbringen”, durchkommen, passieren lassen, von der Latenz ins Manifeste überführen wollte, sich dabei im Duktus jedoch, äußerst traditionell, auf die Fahnen geschrieben hatte, mannhaft für den aufrechten Gang des Mann/Menschen in die Presche zu springen, ihm derart assistierend die zerbrechliche Stange haltend. Im großen humanistischen Stil den homo sapiens als Neumodelierung des erectus der horizontalen Dimension von Vierbeinigkeit, am Ende auch Rückgrat- und Wirbellosigkeit, der Weichheit niederer Animalität, ja der Tierhaftigkeit überhaupt, zu entreißen, firmierte beim Philosophen des schlechthinnigen Un-Prinzips Hoffnung, boshaft und überspitzt ausgedrückt, als Wunschbild und telos, was so klang:

“Der Zielinhalt, das Zielbild im Naturrecht ist nicht das menschliche Glück, sondern aufrechter Gang, menschliche Würde, Orthopädie des aufrechten Gangs, also kein gekrümmter Rücken vor Königsthronen usw., sondern Entdeckung der menschlichen Würde, die eben gleichwohl zum großen Teil nicht aus den Verhältnissen abgeleitet wird, denen man sich anpaßt, sondern (…) von dem neuen, stolzen Begriff des Menschen als einem nicht kriecherischen, reptilhaften, vielmehr einem mit hoch erhobenem Kopf, was uns verpflichtet und uns vor den Tieren auszeichnet und unterscheidet.” (Naturrecht und Menschliche Würde, S.83)

Emanzipatorisches Manifest

Hélène Cixous´ feministisch emanzipatorischer Geist der Re-Volte hingegen, eine stete Aufforderung zum Tanz, zum schreibenden Zuvorkommen einer nicht fest zu machenden Femininität, Körperlichkeit, (Het)erogenität, sein volatiles Fliegen und Stehlen (voler, ein Wort, das sowohl das eine als auch das andere bedeutet und ihr als “VOL” über Jahre zum Fetisch geworden ist; dergestalt noch den Willen, volonté, und die Wollust, volupté, heimsucht),

Voler, c´est le geste de la femme, voler dans la langue, la faire voler. (In der Übersetzung von Claudia Simma: “Voler, (sich davon)stehlen, (ent)fliegen, das ist die Bewegung der Frau, in der Sprache stehlend entfliegen, die Sprache dazu zu bringen sich flugs davonzustehlen.” (S.53))

steht von Beginn an schräg zu derart Zielbilder ausstechendem stolzem Stelzen, der Gangart aufgeklärt emanzipatorischen Fortschreitens eines Anthropozentrismus, ohne sich etwa für Unterwerfung, die freiwillige Knechtschaft stark zu machen; sie brechen nicht etwa eine, sie brechen DIE Lanze, als solche. Ohne dafür auf ein vermeintliches Naturrecht rekurrieren zu müssen, vielmehr wird von einer Unerläßlichkeit ausgegangen, die schon in jeder Parteinahme für sie sich kundtut:

“il faut que ton corps se fasse entendre”.

So dass weniger für etwas Bestimmtes votiert wird, als dass zunächst die als phallischer Erektilitäts-, eindimensionaler Versteifungskult durchschaute humanistische Onto-Orthopädie des abendländischen Theoretizismus´mit einem Lachen und kätzischem Buckeln im Namen eines nachdrücklich an Derrida geschulten Begriffs von Schrift in ihrer Haltung, ihrem habitus und ethos, en passant für längst und immer schon passé erklärt wird:

“eine aufrechte Körperhaltung einnehmen, jener gleich, die sich theoretisch nennt, das ist ganz und gar nicht mein Anliegen.” (So Cixous in einem im Buch zitierten Interview)

Eine Hommage ans Benjaminsche bucklicht Männlein?

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Nicht ums maskulinistische sich Aufrecken geht´s mithin primär in dieser poetischen Schreibpraxis. Auch nicht dort, wo sie mit Analysen, Forderungen und Aufforderungen operiert. Sondern eher noch wäre ein geschmeidiges Auspannen der Schwingen (französisch ailes, wie sie, die Frauen, elles), Eichendorffscher Seelenflügel zum Nachhauseflug, der Fittiche (die Hölderlin einfordert, um, angesichts der Seperation und des Abgrunds unhintergehbaren Zwischens, z.B. der Geschlechter, “treuesten Sinns Hinüberzugehn und wiederzukehren”) in bestimmter romantischer Tradition (der Cixous in vielerlei Hinsicht sehr nahe steht: man merkt das etwa beim Wiederlesen der “Günderode”) eine Bewegung, die dem, was passiert, als Schrift, als Körperseele und Seelenkörper, gerecht wird. Der/die dadurch sich, endlich, bemerkbar macht.

Übrigens verfällt diesem Gestus des Sich-Davonstehlens auch jene Haltung konventioneller Romanschreiber, sofern sie keine Poeten sein sollten.

Die Frauen oder die Feen und das Unbewußte

“Nur Poeten, nicht Romanschriftsteller die solidarisch sind mit klassischer Repräsentation. Poeten, weil Poesie ja nichts anderes ist, als Kraft aus dem Unbewußten schöpfen und weil das Unbewußte, dies andere Land ohne Grenzen, der Ort ist wo die die Verdrängten überleben: die Frauen oder, wie Hoffmann sagen würde, die Feen.” (S.44)

Peter Paul Rubens, Haupt der Medusa um 1617/1618 Leinwand 68,5 x 118 cm Rahmenmaße: 85,5 x 134,5 x 5,6 cm Gewicht: 15 kg Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie

Peter Paul Rubens, Haupt der Medusa
um 1617/1618
Leinwand
68,5 x 118 cm
Rahmenmaße: 85,5 x 134,5 x 5,6 cm
Gewicht: 15 kg
Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie

Keineswegs geschieht alles also in diesem frühen, noch ironisch-polemischen, auch etwas aggressiven Pamphlet, ohne dass die hehren utopischen Kategorien der Würde und des Glück, im Blochschen Text dunkel tönend, dabei zur Sprache kämen. Im Gegenteil: sie lachen sich, schreibend, als zu Wort kommendes Unterbewußtes, des Körpers, heraus.

Écristoi: il faut que ton corps se fasse entendre” — “Schreib Dich: es ist unerläßlich, dass dein Körper Gehör bekommt.“

Ein sich mementoartig repetierender Appell, ein Hellhörigkeit erzwingendes Signal, des Sinnes, körperlich zum Wort und zur Sprache zu kommen (ein subvertiertes „verbum caro factum est“), vernehmbar zu werden, ergeht an die “Frauen”. Aber was hat dieses reifizierende Substantiv schon zu bedeuten bei einer Autorin, die erst vor kurzem in aller Öffentlichkeit behauptet hat, für sie seien auch alle Männer Frauen?

SICH schreiben – Selbstbeschreibung der Seele

Das “Ecris!” als Provokation, Herausrufung (man hört, und liest, das Lachen — Ec-rire — wie man im Deutsche, schreibt euch!, die Reibung aber auch den Schrei vernimmt) — steht als Imperativ damit in jenem der Etymologie niemals abholden, ihr vielmehr exzessiv sich verschreibenden Denken an erster Stelle. Jedoch in halb reflexiver, halb transitiver Variante: sich scheiben, s´écrire. (Überhaupt fragt sich, wie im Zuge einer verallgemeinerten Theorie von Schriftlichkeit, jemand/etwas NICHT geschrieben haben wird. Die auch in “La venue d´écriture” wiederkehrende Frage “Wieso schreibst Du nicht?” kann als Antwort eigentlich nur ein “Ich werde nie einfach nur NICHT geschrieben haben” zu hören bekommen. Auch Nichtschreiben, Nochnichtschreiben oder Nichtmehrschreiben, schreibt bereits, schreibt noch. Sich.)

Es reicht Medusa ins Gesicht zu schauen, um sie zu sehen: und sie ist nicht tödlich. Sie ist schön und sie lacht.

Jenes subversive Lachen, welches vom medusierenden Blick, dem Inbegriff von Weiblichkeit, der gängigen maskulinen (auch freudschen, in dessen kurzem Text “Das Medusenhaupt”) Mythologie nach, die Männer angstvoll und schreckensstarr versteifen lassend, ausgeht, ist ein körperlich explosives. Es ist ein plurales, das allen Mündern entströmt und damit Atem und Wort, den Körper nämlich in ganzer, letztlich grenzunscharfer Extension, de-zensuriert. So oder ähnlich Silvia Stoller in einem der instruktiven Aufsätze, die dem Band “Das Lachen der Medusa” erläuternd beigegeben sind, der als seinen Mittelpunkt den Schlüsseltext Cixous aus dem Jahre 1975 selbst, erstmals ins Deutsche übersetzt von Claudia Simma, enthält. Dabei gelingt ein Blick auf die eine “écriture feminine” begründende Autorin, der neu einschätzen lässt, was im Einsatz für „Weiblichkeit in der Schrift” damals auf dem Spiel stand und heute noch steht. Was weibliche Schrift macht, bewirken wird (fera), was weibliche Mächtigkeit (puissance feminine), jene “ganz andere Allmacht”, die keine Potenz darstellt, sondern der optativen, der jussiven Begehrlichkeit entspringt (auf die letztlich auch der eingangs erwähnte Bloch unterm Topos des Hoffnungsprinzips immer wieder rekurrierte), mit magischen Vermögen, die keine Macht- und keine Rechtsprüche, sondern herbei ersehnende Zauber- und Beschwörungsformeln zu sein scheinen, herbei hext.

Die Frauen kommen von weither zurück: aus dem Immerschon: aus dem “Draußen”, aus der Heide, wo die Hexen sich am Leben halten.

Wo fängt Mann an, hört Frau auf und vice versa? Allen Essentialismusvorwürfen, welche Cixous Denken von Beginn an begleitet haben, zum Trotz, bleibt festzuhalten, dass Weiblichkeit und Frau nicht zwangsläufig Konzepte sein müssen, die an empirische, biologisch lehrbuchgetreu klassifizierte Objekte gebunden sind. Welche letztere immer weniger als Vorfindlichkeiten glaubhaft erscheinen, es sei denn für staatliche Registrierungsvorgänge und medizinische Prozeduren. Vielmehr gilt es, so lehrt diese dekonstruktivistische Geschlechterschrift und -drift, die Sexuiertheit des Lebens/Lesens weder stereotyp fest zu schreiben, noch neutralisierend, nivellierend zu vereinheitlichen (vgl. Luce Irigary “Das Geschlecht, das nicht eins ist). Sondern das Entscheidende im “Zwischen” (entre, was auch als Aufforderung zum Eintreten gelesen und gehört werden kann) zu wittern, der Übergänge und Randzonen. Deleuze hatte in „Proust und die Zeichen“ von einem „anfänglichen Hermaphrodismus“ gesprochen: „…wenn man in Erwägung zieht, daß die beiden Geschlechter in ein und demselben Individuum anwesend und getrennt sind: in Kontiguität, aber abgeschlossen und nicht kommunizierend, im Geheimnis eines anfänglichen Hermaphroditismus.“ Ähnlich H.C.:

Meist sagt man, indem man den Unterschied zwischen den Geschlechtern verabschiedet, entweder, daß alle Schrift, im dem Maße in dem sie ans Licht tritt, weiblich ist; und umgekehrt, aber das ist Dasselbe, daß die Geste des Schreibens einer männlichen Masturbation gleichkommt (und die schreibende Frau, die fertigt sich dann wohl einen Penis aus Papier.) Oder dann, daß Schrift bisexuell ist und infolgedessen neutral, was die Möglichkeit zu unterscheiden ausschließt. Zulassen daß Schreiben eben genau bedeutet (im) Dazwischen zu arbeiten, die Entwicklung des Selben und Anderen zu befragen ohne die nichts lebt, das Wirren des Todes zersetzen, das bedeutet zuerst einmal Beides zu wollen.

Cixous´ Facon (“auch das ein Wort, um das sie sich gekümmert hat”, so Ulrike Oudée Dünkelsbühler im vielleicht faszinierendsten, da gewagtesten Aufsatz des Bandes, “Lengage der Libellen”) erweist sich nach Lektüre des frühen, appellativen Manifests (Appell ja, Manifest nein, so das Statement der Autorin) einmal mehr als eine des Kommen-Lassens — durchaus und emphatisch im sexuellen Sinn eines sich für die Lust und das Genießen öffnenden Körpers. Der sich, zum Schreiben kommend, mit einem Ausdruck Jean-Luc Nancys, aus-schreibt: ex-skribiert, indem er rückhaltlos nicht aus-, sondern heraus-lacht: Ec-rire!!!

Tillmann Reik

Elisabeth Schäfer / Esther Hutfless / Gertrude Postl (Hg.): Hélène Cixous: Das Lachen der Medusa. Zusammen mit aktuellen Beiträgen.
Übersetzt aus dem Französischen von Claudia Simma. Passagen Verlag, Wien 2013. 200 Seiten, 23,60 EUR.